10. März 2012

Vogelzug 1. Klasse

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Dieses Bild von 2001 hat für mich noch heute eine spezielle Bedeutung: Erstens es war einer meiner ersten Versuche, Handzeichnung via Scan mit Photoshop zu verbinden und aus einem Foto eine neue, komische Situation zu schaffen. Zweitens fand ich das Hintergrundsbild in einem wunderbaren alten Bildband über die Schweiz, den ich Ende der 80er-Jahre vom Estrich meiner Grosseltern mitnehmen durfte, ein Erbstück und eine schöne Erinnerung an sie also. Das Bild zeigt einen Erstklasswagen in den 30er-Jahren der SBB, der soeben Spiez verlässt und Richtung Lötschberg rattert. Im Hintergrund sieht man den Thunersee und dahinter erahnt man Interlaken.
Ich nahm also dieses Bild und stellte mir vor, wie es wäre, wenn nach den Menschen eine zweite Tiergattung die Vögel, hier die Störche, ihre Hierarchie materiell zu manifestieren begännen...sich also nicht mehr mit ihrer Ordnung, mit der sie ihren Vogelzug gen Süden solidarisch bestreiten, begnügen, sondern ihren gefiederten Hintern auch auf einen gepolsterten Sessel drücken müssen, ein Cüpli brauchen und vom ganzen Stress eine Beruhigungszigarette reinziehen und rausblasen müssen. Und draussen fliegen die 2. Klass-Störche mit eigener Kraft weiter, die Reise ist lang und ihre Blick nicht besonders begeistert. Ich wendete für dieses Bild fast 18h auf, lernte selfmade scannen, rausputzen, ausschneiden, Spiegelungen und Transparenzen erzeugen, Schattierungen anbringen und Farben anpassen. Ich stellte dieses Bild zusammen mit anderen ähnlichen Bildern am 2. Internationalen Cartoonfestival in Langnau aus und ich weiss noch, wie mich ein ziemlich renommierter Zeichnerkollege damals praktisch als "Verräter" der Cartoonisten-Zunft bezeichnete, weil ich da einfach einen Computerausdruck präsentiere, was ja jeder einfach auf Knopfdruck machen könne. Dieser Affront ehrte mich einerseits, andererseits fand ich seine Bemerkung eine riesige Zumutung und hielt ihm einen kleinen Vortrag darüber, dass dieses Werk genauso Handwerk und Original war wie eine reine Handzeichnung, dass der Computer nichts als ein weiteres Gestaltungsmittel zum Spielen sei und dass in dieser Ausstellung ein einziger, als Unikat signierter Ausdruck veröffentlicht werde und ich Herr über das elektronische File sei. Vermutlich stellte er sich vor, dass ich wie ein Blöder Kopien verkaufen würde. Als würde die Welt nur darauf warten...
Vielleicht war ich damals in dieser Szene wie ein kleiner Vorreiter eines Trends, der seither in Illustration und zu reproduzierenden Cartoons üblich geworden ist, nämlich dass Handzeichnung und digitale Zeichnung oder Foto ineinanderfliessen. Ein Meister dieses Fachs war und ist der Schweizer Igor Kravarik. Und der nörgelnde Kollege von damals ist seither selber ein reger Profiteur der digitalen Möglichkeiten. Nun haben wir 2012 und klar, ich gebe zu, heute gefällt mir der Charme einer 100% Handzeichung immer noch mehr als irgendwelche digitalen ClipArt-Verbrechen.

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